Im Ergänzungsfachunterricht «intra muros» führte ich im Wintersemester 2010/11 in das religionswissenschaftliche Handwerk ein: Die Schüler und Schülerinnen lernten anhand kompetenter Fachliteratur die Entstehungsgeschichte der Weltreligionen und wichtige Aspekte ihrer Wirkung bis ins 21. Jahrhundert kennen, sie setzten sich mit Architektur, Malerei, Musik, Literatur, Philosophie und Politik auseinander, die religiös geprägt sind, sie befassten sich mit Schlüsseltexten der Heiligen Schriften in Übersetzungen, die sich nahe ans Original anlehnen, verglichen dabei die Religionen miteinander unter anderem in Bezug auf die Ethik und das Gottes- und Menschenbild.
«Heilige Häuser» besucht
Wie die Religionswissenschaftler selber, so sollten die Schüler und Schülerinnen sich nicht nur im Klassenzimmer mit Religion auseinandersetzen, sondern diese auch im Alltag erleben: ein «heiliges Haus» erkunden, an einem Ritual als Beobachter teilnehmen, ein interreligiöses Gespräch führen. So besuchten wir das Wat Srinagarindravararam in Gretzenbach (ein buddhistisches Kloster der Theravada-Tradition), die jüdische Synagoge in Baden und das islamische Kulturzentrum in Neuenhof, das von muslimischen Schülern als «Moschee» bezeichnet wird.
Am 16. März 2011 besichtigte die Religionsklasse unter kundiger Führung von Malik Allawala, Ingenieur und Vorstandsmitglied des Vereins Aargauer Muslime die Moschee in Neuenhof.
Rituale des Islam beobachtet
Was die Schüler und Schülerinnen durch die Exkursion gewonnen haben, lässt sich als Horizonterweiterung bezeichnen. Sie erhielten Einblick in eine ihnen eigentlich fremde Kultur und in den Alltag eines islamgläubigen Muslims. Dieser Alltag ist durch die bis ins Detail vorgeschriebenen religiösen Verpflichtungen bestimmt. Die Tatsache, dass der Islam seinen Gläubigen mit eindeutigen Vorgaben das alltägliche Leben streng strukturiert, hat die Schüler und Schülerinnen beeindruckt. Verglichen mit der oft uneingeschränkten Freiheit, welche sie im Alltag geniessen, lässt selbstverständlich solche religiöse Gesetzgebung aufhorchen. Dabei haben unsere Schüler und Schülerinnen vergessen, dass streng religiöse Juden und Christen ähnlich strikte Regeln befolgen.
Die Gastfreundschaft, die uns gewährt wurde, die umgängliche Art, die Offenheit und die Grosszügigkeit der anwesenden Muslime haben wir alle zu schätzen gewusst.
Innensicht reflektiert
Die Schüler und Schülerinnen lernten an diesem Nachmittag den Islam aus der Perspektive eines gläubigen Muslims beobachten. In der Diskussion suchten sie diese Innensicht mit der im Schulzimmer besprochenen Aussensicht der Islamwissenschaft in Verbindung zu bringen. Sie haben sich Kenntnisse angeeignet, die ihnen in Zukunft helfen könnten, Medienberichte zum Islam differenzierter zu beurteilen und in den politischen Diskussionen um diese Religion kompetenter mitzureden. Es ist nicht anzuzweifeln, dass durch diese Eindrücke ein Teil der Schülerschaft sich weiterhin vertiefter mit dem Koran und den Menschen, die ihn als Wort Allahs befolgen, befassen und Toleranz und Schutz gewähren, wie im Koran steht und in der Bibel mit den Worten «Denn der HERR, euer Gott, (…) hat die Fremdlinge lieb, dass er ihnen Speise und Kleider gibt. Darum sollt ihr auch die Fremdlinge lieben» (5. Mose 10,17-19) vorgegeben ist.
Dr. Christine Stuber