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Sonderwoche Kultur und Religion in Israel – damals und heute

Rückblickende Gedanken

«Das hier werden keine Ferien, das wird eine intensive und anstrengende Woche für Euch.» Mit diesen Worten eröffnete unsere Reiseleiterin Rachel am Freitag, 5. Februar 2016 die Studienreise in Jaffa, im ältesten zu Tel Aviv gehörigen Stadtteil. Die sechs folgenden Tage sollten ihr mehr als Recht geben. Dicht aneinander reihten sich Besichtigungen historischer und religiöser Stätten, die Auseinandersetzung mit kulturellen und politischen Themen, Begegnungen mit Menschen unterschiedlicher religiöser und ethnischer Zugehörigkeit, während die Natur im Hintergrund fortlaufend ihre Kulisse wechselte.

Dass das Heilige Land gleichzeitig Heimat dreier Weltreligionen ist, zeigte sich eindrücklich in der Vielzahl bedeutsamer religiöser Stätten, die wie in Jerusalem der Felsendom, die al-Aqsa-Moschee und die Westmauer bisweilen in nächster Nähe voneinander liegen. Der Besuch einer Synagoge, das Treffen mit arabischen Christen im Norden des Landes, der Besuch ihrer christlich-orthodoxen Messe auf Aramäisch, die Fahrt durch Drusendörfer oder das Gespräch mit einem Imam – immer wieder wurde deutlich: Es gibt nicht die drei Religionen (genauso wenig wie es die zwei Seiten des Konflikts gibt); vielmehr sind es unzählige Zwischenformen und Besonderheiten, die in Israel nebeneinander und oft auch miteinander existieren.

Mit der religiösen Bedeutsamkeit des Landes geht einher, dass der Gegend eine aussergewöhnlich alte Geschichte eigen ist, was sich in Denkmälern und Ruinen aus verschiedensten Epochen widerspiegelt. Zu erwähnen sind etwa das Haus der Staatsgründung in Tel Aviv, das Denkmal für den 1995 ermordeten Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin und – besonders erschütternd – die Festung Massada am Toten Meer, in der sich vor 2000 Jahren eine grosse Gruppe aufständischer Juden gegen die römische Belagerung verschanzt und schliesslich um der inneren Freiheit willen kollektiven Selbstmord begangen hatte. Tiefste Bestürzung löste zweifelsohne der Besuch in der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem aus, einem Kabinett des menschlichen Grauens. Sie erzählt mit Bildern, Akten und persönlichen Gegenständen aufwühlende Einzelschicksale und gibt so den Opfern ihre Namen und Gesichter zurück.

Geben Geschichte und Religion dem Land seinen festen Untergrund, so liegt über allem diese elektrisierende politische Spannung, genannt Konflikt. Es ist verständlich, dass die Beteiligten nicht permanent darauf angesprochen und schon gar nicht darauf reduziert werden wollen. Die Menschen sehnen sich nach Normalität, und dennoch ist es unmöglich, den Konflikt auszublenden. Wohl gibt es mannigfaltiges Bemühen um einen Dialog, um Verständnis für die jeweils andere Seite – etwa das integrative Filmprojekt, von dem uns israelische Jugendliche erzählten oder die T-Shirts von Bäckern in Tel Aviv mit der Aufschrift Jews and Arabs refuse to be enemies. Gleichwohl steht alles, was gesagt und getan wird, unter dieser ständigen Spannung – seien es die Worte des Keramikverkäufers im arabischen Viertel in Jerusalem (Ihr habt es gut in der Schweiz, da gibt es keinen Krieg!), seien es jene des israelischen Barkeepers in Tel Aviv (From Switzerland? O, I couldn’t live without enemies!).

Für uns war die Spannung besonders deutlich zu spüren bei unserem kurzen Fussmarsch zur libanesischen Grenze und dem anschliessenden Treffen mit israelischen Soldaten, die mit einer Selbstverständlichkeit ihr Land verteidigen, wie es für uns als Bürger eines Landes, das mit seinen Nachbarn im Frieden lebt, kaum vorstellbar ist. Äusserst ambivalent war der anschliessende Besuch des Aussichtspunktes Har Bental auf den Golanhöhen, der einen Blick weit in die syrische Ebene ermöglicht. Lediglich 60 km sind es von da bis Damaskus, man sieht von blossem Auge Ruinen aus dem 1967er-Krieg, die Pufferzone, in der die UNO wacht, und man meint Geräusche von Explosionen wahrzunehmen. Selber in Sicherheit stehen und auf ein Land blicken, das in schrecklichstem Bürgerkrieg steckt, das war ein unheimliches Gefühl.

Nach solchen Momenten war es immer wieder die Natur, die mit ihren biblischen Landschaften, ihrer Weite und Offenheit Ruhe und Erholung ermöglichte: die Mittelmeerküste bei Tel Aviv, die Oliven- und Orangenhaine Galiläas, der See Genezareth, das Jordantal mit seinen Dattelpalmengärten, das von Salzbänken durchzogene Tote Meer und die Wüste Negev mit ihrem zartgrünen Frühjahrsflaum.

So vielfältig die Kulturen und Religionen der Menschen in Israel auch sind – allen gemeinsam ist ein hohes Bewusstsein ihrer eigenen Identität, eine selbstverständlich und offen gelebte Religiosität sowie eine tiefe Verbundenheit mit ihrem Land, mit diesem kleinen Flecken Erde. Wenn die Menschen auch noch so sorglos irgendwo anders leben könnten: Hier ist es, wo sie leben wollen. Mit seiner jahrtausendealten Geschichte und seinem so fruchtbaren religiösen Boden strahlt das Land eine gewaltige Anziehungskraft aus. Die Angst ist zwar da, aber das Leben ist stärker. Alle, mit denen wir gesprochen haben, würden in Frieden leben wollen. Doch, wie eben auch alle sagen: Es ist kompliziert. Die verschiedenen Kulturen und Religionen sind ineinander verwoben und voneinander abhängig wie das Laufwerk einer Uhr.

Ergreifend, erschütternd, eindrücklich und faszinierend: So hat die Reise ins Heilige Land uns oder zumindest unseren Blick auf gewisse Dinge verändert und so wird sie bei uns allen ihre Spuren hinterlassen.

Judith Ehrensperger, Yvette Klingelfuss, Kurt Stehlin



21 Fotos


Aufgeschaltet am 29. Februar 2016
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